Schefold, Karl und Max Seidel: Der Alexander-Sarkophag.Berlin.1968. Da Werk, das wir hier vorlegen, hat man bisher nie in solchem Reichtum ergreifender Details bewundern können, wie in den neuen Aufnahmen Max Seidels. Die große Kunst des Sarkophags erlebt man zunächst mehr im Schicksal der einzelnen Tiere und Menschen, die da leidenschaftlich jagen und kämpfen, siegen und sterben. In solchem Schildern spricht sich das Griechische der Künstler am meisten aus. Dagegen läßt die Komposition der Friese und des ganzen Sarkophags leise spüren, daß die Künstler einem orientalischen König dienten. Die bisherigen Gesamtaufnahmen, auf denen die Details zu klein gerieten, haben diesen stattlichsten aller Reliefsarkophage eher in geschichtliche Ferne gerückt, statt ihn uns nahezubringen.¹ Wir werden sehen, daß die Benennung „Alexandersarkophag“ mißverständlich ist. Hier war nicht Alexander der Große, sondern ein orientalische König bestattet, und die meisten Friese gelten dem Leben des Königs (Abb. 2-46). Nur der Fries der Rückseite (Abb.47-72) feiert Alexander den Großen, weil seine Siege für das Schicksal des Herrn des Sarkophags entscheidend waren. Alexanders Siege aber haben ihre Bedeutung bis heute behalten. Deshalb ist es richtig, auch weiterhin vom Alexandersarkophag zu reden. Zwar ist der Kampf durch seine grauenvollen modernen Formen ein Symbol geworden, das wir nur noch scheu gebrauchen können. Aber des heiligen Georg Kampf mit dem Drachen bleibt immer ein bild für die Überwindung des Chaos, die vom Leben gefordert ist, so lange es Leben bleibt: Leben ist nun einmal Gestalt und kein Drachenwerk. Und das Reiterbild bleibt das Symbol des Sieges, auch wenn heute nicht mehr zu Pferd gekämpft wird. Als das Reiten im späten zweiten vorchristlichen Jahrtausend als Mittel des Kampfes aufgekommen war, erfuhren die Menschen in der verbundenen Kraft von Reiter und Roß etwas Übermenschliches. So wurde das Pferd zum Symbol des Heros, des Helden, der mehr als ein gewöhnlicher Mensch ist, ja zum Attribut von Göttern. Alexander der Große konnte als Knabe den Bukephalos reiten, den zu bändigen keinem anderen gelungen war, und offenbarte damit sein übermenschliches Wesen. Im reichsten Fries des Sarkophags (Abb. 47-49) richtet der reitende König seine Lanze auf einen Perser, dessen Roß er zu Fall gebracht hat. Dieses Motiv findet sich auch auf dem Gemälde, das uns in der Mosaikkopie in Neapel erhalten ist.2 Dort gehört es zu einem größeren Zusammenhang: An der Spitze seiner Reiter ist Alexander mitten ins feindliche Heer gesprengt und hat den König der Perser selbst zur Flucht gezwungen. Auf dem Sarkophag wird anders erzählt. Alexander ist einer von drei griechischen Reiterführern, die in die Schlacht eingreifen und den Sieg entscheiden. Der Sarkophagfries stellt also keine vereinfachte Wiedergabe des Originals der Neapler Alexanderschlacht dar. Es wird sich zeigen, daß er auch nach seinem Stil älter ist als jenes Original. Die beiden Werke und ähnliche großgriechische Vasenbilder setzen ein gemeinsames Vorbild voraus, das unmittelbar nach den entscheidenden Schlachten gemalt worden sein muß. Zugrunde liegt die Vorstellung, daß Alexander ins Herz der feindlichen Aufstellung vorgedrungen war. Der Begegnung der Könige in der Schlacht ist literarisch nicht überliefert, aber packende künstlerische Vision. Später kehrt die leuchtende Erscheinung des berittenen Siegers bis in die Neuzeit immer wieder, ob er nun Josua heißt, wie in S. Maria Maggiore in Rom oder Trajan, Konstantin oder Peter der Große. Unser erstes Bild gibt das Antlitz des siegreichen Alexander im figurenreichsten Fries des Sarkophags (Abb. 1, vgl. 52, 54) etwas vergrößert wieder. Alexander der Große ist kenntlich mehr am Löwenhelm als an den Gesichtszügen. Dieser Kunst geht es nicht um das zufällig Individuelle des Gesichts, sondern um das mythische Bild des Jünglings, der ein Weltreich erobert. Deshalb wird im Fries nicht eine der Schlachten Alexanders getreu wiedergegeben, sondern festgehalten, wie man den Sieger im Gewoge seiner Schlacht in Erinnerung behielt. Man dachte wohl besonders an die Schlacht bei Issos, die den entscheidenden Sieg über die Perser brachte. Alexander hatte erst dreiundzwanzigjährig, 334 v. Chr., von seinem Stammland Makedonien aus den Angriff auf das Perserreich begonnen, Anatolien erobert und noch im gleichen Jahr durch die Schlacht bei Issos sich den Weg nach Phönikien und Ägypten eröffnet. Man verglich Alexander mit Achill und mit seinem Ahnen Herakles, der als Knabe einen Löwen erwürgt hatte und seither das Löwenfell trug. Wie alles am Sarkophag lebt auch dieses Löwenhaupt. Alle Wesen, Menschen und Götter stammen von derselben Mutter, weiß der Dichter Pindar, und hier haben wir diese Verwandtschaft aller Lebewesen vor Augen. Besitzen die spätklassischen Tierbilder oft nicht mehr dieselbe Kraft wie die archaischen, so gehört es zur eigentümlichen Größe des Alexandersarkophags, daß uns seine Tiere oft unmittelbarer ergreifen als die Menschen selbst. Dies unseren Augen recht faßbar gemacht zu haben, gehört zur besonderen Kunst des Photographen, dem der vorliegende Band bis in die Anordnung der Bilder verdankt wird. In unserem Buch ist also das Bild nicht Illustration des Textes, sondern es führt den Blick des Betrachters, und der Text will nur erklärend beim Betrachten helfen. Dabei stellen sich sogleich zwei Fragen, die die Forschung noch heute beschäftigen: Wer war in dem Sarkophag beigesetzt und wie verhält sich der geistige Gehalt des Werkes zur Epoche Alexanders? Ist es zeitgenössisch oder, wie neuerdings wieder behauptet wurde, erst lange nach dem Tod des Königs er starb 323 v. Chr. nach 306 v. Chr. gefertigt worden? Wir fragen weiter: Wie kommen diese köstlichen griechischen Formen in phönikische Erde und ins Dunkel des Grabes? Mit welchen Vorstellungen von Leben und Tod verbinden sie sich? Versuche, in dem Sarkophag den Alexanders des Großen oder den Parmenions zu erkennen, wurde aufgegeben, weil sie allzu künstliche, hypothetische Erklärungen verlangen. Aber wir hoffen zu zeigen, daß das außerordentliche Werk zu Lebzeiten Alexanders geschaffen ist, sein ältestes Bildnis überliefert und überhaupt eines der wenigen originalen Monumente ist, die unmittelbar von seinem Umkreis zeugen. Der Sarkophag wurde 1887 in der größten und jüngsten der sieben Grabkammern entdeckt, die im fünften und vierten Jahrhundert die Nekropole der Könige von Sidon in Phönikien bildeten, und er ist der mächtigste der gefundenen Sarkophage. Seine Maße betragen 3, 18 Meter in der Länge, 1,60 Meter in der Breite und 1,95 Meter in der Höhe. Der letzte der Könige von Sidon, Abdalonymos, wurde von Alexander dem Großen nach der Schlacht bei Issos auf den Thorn gehoben, nachdem Alexander Sidon von den Persern befreit hatte. Abdalonymos ist zuerst von F. Studniczka in dem persisch Gekleideten vermutet worden, der im Kampfbild eines Giebels (Abb. 2ff.), in der Pantherjagd darunter, in der Löwenjagd einer Langseite (Abb. 32 ff.) und auf der anderen Schmalseite (Abb. 16ff.) den vornehmsten Rang hat. Er muß einer der Großen gewesen sein, die nach dem Sieg über den Perserkönig zu Alexander in ein Lehens- und Freundschaftsverhältnis traten. Die Löwenjagd schildert eine der Jagden, wie sie die makedonischen zusammen mit den persischen Großen nach der Einnahme der persischen Reichshauptstadt Susa unternahmen. Bei der Beschreibung wird sich zeigen, daß sich die Bilder vorzüglich verstehen lassen, wenn man Abdalonymos als Herrn des Grabes annimmt. Die Löwenjagd ist der Hauptfries, nicht die Alexanderschlacht (Abb. 47ff.), an der Abdalonymos nicht beteiligt war. Der Vorrang der Löwenjagd ergibt sich daraus, daß die rechte Nebenseite (Abb. 2ff.), die Pantherjagd, nach links zur Löwenjagd hin orientiert ist und die linke Nebenseite (Abb. 16ff.) nach rechts, somit ebenfalls zur Löwenjagd hin. Die Alexanderschlacht befindet sich also auf der Rückseite. Sie gehört zum Leben des Verstorbenen, weil sie das größte zeitgenössische Ereignis war, denkwürdig wie eine Heldensage. Schon diese Überlegung spricht dafür, daß der Sarkophag nicht zu lange nach der Schlacht gefertigt wurde. Abdalonymos ist zwar erst viel später, wohl 311 v. Chr., gestorben, aber es war alte Sitte, zu Lebzeiten für das Grabmal zu sorgen. Die genauere Datierung muß sich aus der Analyse des Stils ergeben. Der moderne Betrachter richtet seinen Blick zuerst auf die Figurenszenen und nimmt das Übrige leicht als dekoratives Beiwerk. Und doch nehmen die Figuren den kleineren Teil der Dekoration ein, der die Künstler soviel liebevolle Sorgfalt widmeten. Wir müssen das dekorative Ganze zuerst zu verstehen versuchen, um die Bilder selbst richtig zu sehen. Der Leib des Toten ruhte hinter Friesen, die das Unsterbliche seines Lebens, seinen Ruhm, im Unvergänglichen der Kunst festhalten. Der Kern des Sarkophags, der Schrein, den die Figurenfriese umgeben, wird getragen und bekrönt von Profilen und Ornamenten, die in der griechischen Kunst immer Grundformen des Lebens, vor allem des pflanzlichen Lebens sind. Gesims und Dach des Deckels bewahren die uralte Idee des heiligen Hauses, in dem der unsterblich gewordene wohnt. Die ägyptische Idee der Auferstehung des Leibes hatte dazu geführt, Sarkophagen eine architektonische Grundform zu geben. Dann hatten die Phönikier die Form übernommen, wohl durch die Religion der Isis angeregt, und schließlich manche vornehme Herren unter den Griechen. Mit weiser Beschränkung deutet der Künstler die Tempelform nur so weit an, als es nötig ist, uns das göttliche Wohnen des Grabherrn empfinden zu lassen. Die Ägypter hatten die Hausform gleichsam hieroglyphisch bezeichnet, mit Dächern, Palastfassaden und Inschriften. Bei manchen griechischen Sarkophagen wird die Anschauung dichter, indem der Schein Basis und Giebel erhält. Dabei bleibt aber der Charakter des Schreins im festen Rahmen der Reliefs bewahrt. Die römischen Sarkophage stellen dem vergänglichen Leib die Erwartung der Unsterblichkeit der Seele gegenüber. Die griechischen Werke zeigen uns das Leben selbst in seiner vollkommenen Gestalt, die als solche unsterblich ist und auch Psyche, Seele, genannt werden kann. Der Tod erscheint in den vielen Sterbenden des Alexandersarkophags als etwas, das zum Leben gehört und der Unsterblichkeit der Gestalt nichts hinwegnimmt. In der Vollendung ihrer Tapferkeit ist ihr Ruhm; der vollkommene Augenblick wird zur Ewigkeit. Deshalb fehlt auf dem Sarkophag ganz der quälende römisch-mittelalterliche Gegensatz von Vergänglichkeit und Erlösung. Nun verstehen wir besser, warum auch die Ornamentik des Sarkophags (Abb. 47. 73-81) aus Urbildern des Lebens besteht. Elemente der ionischen Ordnung werden originell und sinnvoll verwendet; Unten die attisch-ionische Basis, die wir seit dem Erechtheion der Akropolis von Athen kennen. Sie strebt empor in einer kraftvollen Spannung, auf welche die Mäanderzone und darüber das ruhige große Gebälk und das Dach antworten. Die Basis wird von zwei Flechtbändern zusammengefaßt, die nicht nur nach Höhe und Grad der Verschlingung unterschieden sind. Es ist auch das obere Flechtband im Gegensinn zum unteren bewegt. Die Hohlkehle dazwischen, von kräftigen Leisten gerahmt, verhält sich zu den beiden Flechtbändern wie die Relieffelder zu den oben und unten begrenzenden Ornamenten. Solche Dreiteilung ist ein Grundrhythmus des Lebens und an der menschlichen Gestalt immer neu abgewandelt. So hat auch der Tempel drei Stufen und ist dreigeteilt in Stufen, Säulenbau und Gebälk. Zum eigentlichen Schrein leitet ein stehendes sogenanntes lesbisches Kyma über (Abb. 75), auf das oben ein ionisches antwortet (Abb. 73) und beide sind durch je einen Perlstab begrenzt. Die stehenden Blätter lechzen gleichsam nach oben, die hängenden tropfen voll und in gespanntem rhythmischem Wechsel mit scharfen Zwischenpfeilen. An den Ecken antworten hängende Palmetten auf die stehenden der lesbischen Welle. Entscheidend wichtig für den Stilcharakter des Ganzen ist die räumliche Sphäre, die alle diese Ornamente um den Schrein legen, so wie auch die Figuren der Friese von Raum umspielt sind. Dagegen sind archaische und ältere klassische Ornamente selbstgenügsame Plastik, die den Raum nicht künstlerisch gestaltet, und hellenistische Ornament und Figuren stehen in heftiger Spannung zum ins Unendliche erweiterten Raum. Diese Spannung von Plastik und Raum ist auf datierten Urkundenreliefs seit etwa 325 v. Chr. Nachweisbar und beherrscht die letzten, vor das Luxusgesetz des Demetrios von Phaleron datierten Grabreliefs (317 v. Chr.), sowie das Mosaikbild, dessen Original man mit guten Gründen um 317 v. Chr. angesetzt hat³. Der Alexandersarkophag muß vor dieser Stilwende der späteren zwanziger Jahre entstanden sein. Während auf dem Sarkophag alle Formen in sich ruhen und abgeschlossen sind, gibt das Mosaik einen momentanen Ausschnitt aus heftigem Geschehen. Die Formen sind abgerissen, andeutend und mit dem Raum nicht so harmonisch verbunden wie die des Sarkophags, sondern heftig vom unendlichen Raum abgesetzt. Diese Beobachtungen mögen fürs erste genügen, um beim weiteren Betrachten immer tiefer verstehen zu lassen, daß der Alexandersarkophag noch dem Ende der späten Klassik angehört und vor dem Beginn des frühen Hellenismus entstanden sein muß. Über dem Eierstab umgibt ein lichter Mäander den Rand des Sarkophagkastens (Abb. 77). Die eingefügten Quadrate wirken rhythmisierend, etwa Metopen in einem Triglyphenfries. Mäander sind als feste begrenzende Zonen aus der alten ionischen Architektur bekannt. Hier am Rand des Sarkophags hebt er den Kasten kunstvoll vom Deckel ab, zugleich aber hat er nichts schwer Abschließendes, sondern leitet in zierlicher Spannung weiter zum Deckel, dem die umfangenden Rebzweige eine wundersame Leichtigkeit verleihen. Die Zweige beginnen leicht verflochten in der Mitte der einen Schmalseite (Abb. 2.4) und begegnen sich in der Mitte der anderen (Abb.16 und 17). Durch das regelmäßige Zickzack der Zweige und das Anordnen der Blätter wirkt das Naturgebilde den Grundformen des Wachstums in den Ornamenten verwandt. Rebzweige gehören dem Dionysos, dem göttlichen Herrn des ewigen Lebens. Sie lagen dem Künstler an Herzen, der sie dann auch besonders reich koloriert hat. Sie entsprechen dem alten ionischen Natursinn, wie wir ihn von früharchaischen Tierstilvasen kennen, von den Zweigen und Ranken der „Caeretaner Hydrien“ und anderen ionischen Gattungen, aber auch aus der attischen Kunst, die ihn gebändigt in sich aufgenommen hat. Leider haben die Grabräuber, als sie den Deckel des Sarkophags zur Seite schoben, die Ränder des Kasten und des Deckels beschädigt. Die Perlen am Rand des Deckels strecken sich geschmeidig, um dem Rhythmus der darüber folgenden hängenden lesbischen Welle zu entsprechen. Diese Friese wirken wie die Unterteilungen eines spätklassisch reichgegliederten Achitravs, den oben Zahnschnitt und Eierstab eines Gesimses bekrönen (Abb. 78). Damit wird die Übereinstimmung mit ionischer Architektur noch enger. Auf den Schmalseiten bildet das Gesims die Basis der Giebelfiguren, auf den Langseiten folgend darüber die Simen mit je zwölf Köpfen von Löwengreifen, die die Stelle von Wasserspeiern vertreten (Abb. 78f.). Seit Alters hatte man das kostbare göttliche Wasser mit den Häuptern von Löwen gefaßt, Urbildern der Majestät - nun deuten diese Köpfe von Löwengreifen insbesondere auf Dionysos, den Herrn des Ostens und der Ewigkeit. Im gleichen Sinn flankieren Löwengreifen die Lebensräume der Firstakrotere (Abb. 2ff. 16f.). Gelagerte Löwen als Eckakrotere, unheimlich wilde Bestien, die mit geöffneten Mäulern zu den Langseiten blicken (Abb. 78f.), erinnern an die Löwen, die gewaltig von den Architraven des archaischen Apollontempels von Didyma drohten. Zwischen den Löwen und Wasserspeiern bleibt Platz für je neun Stirnziegel: zwischen Rosetten tragen Mädchenköpfe Kronen aus geschwungenen Blättern. Die phantastische geheimnisvolle Pracht des Dachs hebt sich eigenartig ab von der rationalen Klarheit der übrigen Dekoration. Die Dachschuppen bestehen aus umrandeten Blättern mit erhabener mittlerer Ader und erinnern an mythische Bauten wie den uralten Tempel Apollons aus Lorbeerzweigen. Die schrägen Giebelgesimse sind kräftig profiliert und bekrönt von Flammenpalmetten, die von Löwengreifen des Dionysos flankiert werden. Der Dachfirst wird von Paaren von Mädchenköpfen bekrönt, die nach beiden Langseiten blicken und mit Adlern mit geschwungenen Flügeln abwechselten. Die Mädchenköpfe mit ihren Blumenkronen steigen aus Blättern und Ranken auf, die dem Dachfirst entspringen (Abb. 80f.). Von den Adlern, besonders zerbrechlichen Gebilden, sind bei den mehrfachen Versuchen, den Deckel des Sarkophags abzuheben, nur Fragmente, besonders Flügelansätze erhalten geblieben. Adler, Symbole des Zeus und königlicher Macht, bedeuten in der Spätklassik Entrückung in göttliche Sphäre, so auf der Stele des Kleobulos[i] und in den Gruppen der Entrückung des Ganymed durch den Adler[ii]. Bei Alexander und den Ptolemäern verkörpert der Adler den göttlichen Auftrag des Herrschers[iii], aber auf dem Sarkophag muß der Sinn allgemeiner sein, wie die Verbindung mit den aus Ranken aufsprießenden Köpfen bezeugt, jenem altägyptischen, von der griechischen Isisreligion adaptierten Unsterblichkeitssymbol[iv], das sich seit der Parthenonzeit in Athen und im vierten Jahrhundert in ganz Griechenland verbreitet findet. Mit der Blüte der Philosophie und der Mysterienreligionen in der späteren Klassik gehen künstlerische Richtungen zusammen, die das Wunderbare der göttlichen Welt nicht mehr in mythischen Gestalten fassen sondern nur andeuten, etwa im Geheimnisvollen archaistischer Gestalten, in goldenem und weißen leuchtendem Schmuck der Keramik und in Motiven wie den Mädchenköpfen und dem Schuppendach des Alexandersarkophags. Die Krise der klassischen Bildvorstellung führt dann im Beginn des Hellenismus zum Aufhören der rotfigurigen Vasenmalerei, aber auch zum Verbot der Grabreliefs, das der Philosoph Demetrios von Phaleron bald nach 317 v. Chr. Erließ, als er von den Makedonen zum Statthalter Athens eingesetzt wat. Es ist kein Zufall, daß uns das Dach des Sarkophags am wenigsten künstlerisch befriedigt. Hier kündigt sich eine Krise der klassischen Haltung an, der das übrige Werk noch vollkommen angehört. Auch diese Überlegung bestätigt, daß der Sarkophag noch vor der Wende zum Hellenismus entstanden ist, also vor dem Tode des großen Königs im Jahr 323 v. Chr. Wendet man sich vom bunten, friedvoll leuchtenden olympischen Leben der Ornamente zu den Friesen selbst, so findet man Formen und Farbigkeit zu höherer Kraft und momentanen Ausdruck gesteigert. Aber durch die Feierlichkeit und Räumlichkeit des ganzen Werkes überwiegt doch der Eindruck der Ruhe, wie sie der späten Klassik eigen ist. Man sollte sich das lebhafte figürliche Geschehen immer eingefügt denken in die Gesamtkomposition des Grabdenkmals. Als ersten Fries betrachten wir die rechte Nebenseite des Sarkophags mit der Pantherjagd (Abb. 2ff.). Hier herrscht die Richtung nach links vor, wo sich das Geschehen im Hauptfries der Löwenjagd großartig steigert (Abb. 3ff.), war doch die Löwenjagd seit alters Ausdruck der Göttlichkeit des Herrschers. Im Pantherbild ist er, vom Pferd gesprungen, allein dem riesigen Tier entgegengetreten, das zum Sprung und tödlichen Prankenschlag ansetzt. Aber der Fürst wird ihm, weit nach links ausfallend, mit dem Jagdspeer zuvorkommen, den er mit der Rechten schleudert. Erst die Details lassen ganz die Meisterschaft erkennen (Abb. 9ff.), mit der hier ein alter Bildtypus und der Tierdämon völlig neu gesehen sind. Die Gefährlichkeit des Panthers spiegelt sich im Entsetzen des Pferdes, das fliehen möchte und mit Mühe vom Trabanten gehalten wird; sie spiegelt sich aber auch im Eifer der drei Gefährten rechts, die das Raubtier von der Seite und von hinten mit Axt und Speeren bekämpfen. Das feurige Leben der Tiere, vor allem im Haupt des sich bäumenden Pferdes, steht zur gesammelten Kraft der Männer in einem Kontrast, den die hochklassische Kunst noch nicht kannte. Alle Speere, Zaumzeug und Gürtelschnallen waren in Metall angesetzt. Von solchen Zutaten hat nur Weniges die Plünderungen der Gräber überdauert. Es fehlt auch der Metallschmuck um die Köpfe der Männer, dessen Einlaßspuren noch überall kenntlich sind. Es überrascht, wie vieles bei einem so plastischen Stil der Malerei überlassen wurde, so im Schlachtfries (Abb. 47ff.) am Boden liegende Schilde, Helme und Lanzen. Gemalt ist überall das strömende Blut, vor allem aber die dekorative Ausstattung der Waffen, Gewänder und des Zaumzeugs. Die prachtvolle Schabracke des Pferdes ist mit Löwengreifen verziert. Vom Fell des Panthers erkennt man noch die Flecken. Auf die Bemalung des Grundes mit Blau oder Rot, wie sie noch am Mausoleum üblich war, hat der Meister verzichtet; dadurch nähert er das Relief dem koloristischen Eindruck der Malerei, die in der Alexanderzeit nach dem Urteil der Chronisten das Herrlichste hervorgebracht hatte (Abb. 6). Die Komposition ist die des spätklassischen Stils, der sich in einer Reliefebene mit klaren Umrissen und bis ins Letzte deutlicher Gliederung ausspricht. Überall wird der Blick durch Kompositionslinien so um die Gestalt herumgeführt, daß er sie in ihrer vollen Plastizität ergreift. Die so geschaffene Raumsphäre bildet ein Gleichgewicht zur Heftigkeit des Geschehens, denn Raum empfinden wir immer als etwas Dauerndes. Aber feine Spannungselemente, wie sie dann im Hellenismus zur Herrschaft kommen, weisen schon in die Zukunft und zeigen sich besonders in den kühnen Vorderansichten der rahmenden Trabanten. Dazu kommt, daß deren Haltung transitorischer ist als die des Fürsten. Bei ihm hat der Künstler noch einen jener fruchtbaren Momente in der Bewegung aufgesucht, die das Gesetz der Bewegung empfinden lassen und deshalb von der Klassik bevorzugt werden. Die klassische Gebärde hält grandios jenen momentanen Erregungen das Gleichgewicht, ja, durch den zentralen Schild unterstützt, beherrscht sie die Gesamtbewegung des Frieses. Jedoch drängt der Wurf des Speers nach rechts, indes der lichterfüllte Bildgrund links die Weite andeutet, in die das Pferd ausbrechen möchte. Die Bemalung der Pantherjagd enthält nach Winters feiner Beobachtung Blau als Dominante und ist auf ein im lebhaften Wechsel zarter bunter Töne möglichst klangvolles Kolorit abgestimmt. Blau dient auch zur Hervorhebung der Mittelfigur des Giebels. Im Giebel über dem Pantherfries (Abb. 4f.) siegt der Herr des Grabes über Griechen. In der Mitte reitet er nach links und trifft einen Gepanzerten, der ihm mit dem Schwert entgegentritt und selbst von einem in kühner Vorderansicht knienden Perser angegriffen wird. Schwächer ist die Figur des Gefallenen in der Ecke. Rechts greift ein Perser, der ungewöhnlicherweise einen Panzer trägt, einen in Rückansicht knienden Griechen an. In der rechten Giebelecke liegen Helm, Schild und zerbrochene Lanze, weitere sind im Bildfeld verteilt. Komposition und Erfindungskraft sind hier schwächer als an anderen Teilen des Sarkophags, aber nur gradweise. Auch hier ist der spätklassische Reliefstil durch die zahlreichen Vorder- und Rückansichten in einer Weise gespannt, die das Aufbrechen der geschlossenen spätklassischen Komposition ankündigt. Die Festigkeit der Symmetrie verbindet das Figürliche mit der Architektur absichtlich mehr als die dynamische Komposition der Pantherjagd, die unseren Blick zum Hauptfries weiterleiten will. Der Fries der linken Nebenseite (Abb. 16ff.) ist klassischer in drei Gruppen komponiert, die an berühmte Typen erinnern. An dieser Schlacht waren, wie es seit den Perserkriegen oft genug vorkam, auf beiden Seiten Orientalen und Griechen verbündet. Der Herr des Grabes wirft als persisch gekleideter Ritter den Speer auf einen niedergestützten Griechen, der sich mit seinem Rundschild deckt. Abdalonymos kämpft hier auf der Seite der Freiheit, denn sein griechischer Gefährte links hat nicht zufällig die Haltung des Harmodios, des attischen Tyrannenmörders[v] . Das Leuchten seiner Erscheinung wird noch durch das entsetzte Zurückweichen seines persischen Gegners betont, der nicht wagt, mit dem Schwert weiter zuzustoßen. Im Inneren seines hochgehobenen Schildes war jetzt nicht mehr kenntlich eine Huldigung vor dem Großkönig unter der persischen Flügelsonne gemalt, eine Szene, wie wir sie von vielen Reliefs aus Persepolis kennen. Das Gegenüber des weibischen Tyrannenknechts und des Harmodiosgleichen Vorkämpfers der Freiheit ist also völlig bewußt. Man findet ihn in der Begegnung der Blicke wieder (Abb. 25ff.) und fragt sich, wem die Teilnahme des Künstlers mehr gehört, dem siegenden oder dem besiegten Menschen. An ein heroisches Vorbild, die Gruppe von Achill und Penthesilea, erinnert auch die Szene rechts: Ein Grieche hat einen fliehenden Perser, der um Gnade flehend auf die Knie gestürzt ist, eingeholt, reißt mit der Linken sein Kinn zurück und stößt ihm mit der Rechten den Dolch in die Schulter. All dies Geschehen wird noch furchtbarer durch einen in der Kunst neuen Ausdruck des Seelischen (Abb. 19. 21f. 14). Es ist nicht nur Leidenschaft und Qual der älteren klassischen Kunst; sondern Härte im Sieger und in Blick und flehend gespreizter Linker des Besiegten ist unaussprechliche, zum Himmel gerichtete Klage. Das ausdrucksvolle Spiel der Hände gerade dieser Gruppe (Abb. 21) macht uns bewußt, wieviel mit den Gliedern weniger gut erhaltener Originale verloren ist. Der braune Fleck auf dem Reliefgrund neben dem rechten Oberschenkel des Sterbenden deutet dessen herabgefallene Tiara an. In dem vielen Rot des Frieses hat Winter feine Beziehung auf das Rot der darüberstehenden Mordszene erkannt (Abb. 18f.). Charakteristisch für den geistigen Gehalt der Friese ist die Sparsamkeit, mit der realistische Details aufgenommen sind. Wir bemerken deshalb hier einiges zur Tracht, das für alle Friese des Sarkophags gilt. Die griechischen Ritter tragen doppelt gegürtete Ärmelhemden und Mäntel, „Parmenion“ (Abb. 51) Ärmelhemd, Panzer und Mantel, der wie stets auf der rechten Schulter zusammengesteckt ist. In den Giebeln tragen einige Griechen die gewöhnlich ärmellosen kurzen Hemden (Chitoniskoi), so auch der Gepanzerte der Rückseite (Abb. 49). Nur einer der Metallpanzer ist mit einem Gorgoneion geschmückt (Abb.41f.), alle aber mit prächtigen farbigen Gürteln. Die Helme der Fußkämpfer ähneln z. T. phrygischen Mützen, nur die Reiter „Hephaistion“ und „Parmenion“ (Abb. 55. 51) tragen den breitkrämpigen Reiterhelm. Die Schilde sind rund, aber nicht mit makedonischen Kreismustern verziert. Das Makedonische wird wenig betont, weil der Sinn des Kampfes der Kampf der Griechen mit den Barbaren ist. Die Makedonen werden als Vorkämpfer der Griechen aufgefaßt. Wir werden dies mythische Element bald besser verstehen. Bei den Orientalen wird nicht unterschieden zwischen den Phöniziern, Abdalonymos und den Seinen, die zunächst zum Perserreich gehörten und dann mit Alexander befreundet sind, und zwischen den Persern, den Gegnern Alexanders in der Perserschlacht. Wir nennen also die orientalisch Gekleideten Perser, soweit sie nicht deutlich von diesen durch das Thema des Geschehens abgehoben sind. Die Perser tragen Schuhe, Hosen, Ärmelchiton, der oft nur einmal gegürtet ist, oft auch die Kandys, eine Ärmeljacke, die immer um die Schultern geworfen ist, dazu die Tiara, die Haare, Backen und Kinn bedeckt alles reich dekoriert. Nur in einem Giebel (Abb. 4) trägt ein Perser einen Panzer, sonst sind sie nur mit dem meist bogenförmig ausgeschnittenen Rundschild bewehrt. Als Angriffswaffen führen Griechen und Perser Speer und Schwert, dazu die Perser Axt und Bogen. Die Pferde sind reich geschmückt mit bunten Riemen und Sätteln, die oft auf gefransten Satteldecken liegen. Das obere Mähnenende der persischen Pferde ist zu einer Art Turban gebündelt, während die Stirnhaare der griechischen Pferde frei wehen. Überhaupt wirken diese feuriger und mutiger, bis in die Stellung der Ohren (Abb. 67). Der Künstler wollte nicht bestimmte Ereignisse illustrieren, sondern „das historische Element zu einer allgemeinen und universellen Bedeutung erheben“ (Furtwängler[vi]), also den mythischen Gehalt sichtbar machen. Schon auf den älteren Sarkophagen des sidonischen Nekropole wurden aus dem Leben des verstorbenen Königs bedeutende überpersönliche gleichsam mythische Züge herausgehoben, die es denkwürdig machten, Siege in Kämpfen und in Jagden. Auf dem Alexandersarkophag ist das Aktuelle stärker, weil das Aktuellste, der Zug des großen Königs, selbst schon zum Mythos geworden war. Aktuelle Züge sind auch die persische Audienzszene auf der Innenseite eines Schildes und die griechischen Waffen einiger Perser. Man hat sie aus Alexanders Heeresreform nach dem indischen Feldzug erklärt, die auf eine Verschmelzung der griechischen und der persischen Gruppen hin tendierte. Bezeichnend für die mythische Auffassung ist aber, daß die Griechen vielfach in heroischer Nacktheit erscheinen und daß die Perser von ihnen weniger durch den physischen Typus als durch große Weichheit und durch das traditionelle Perserkostüm unterschieden werden, zu dem eine eigene Gesichtsform und der Schnauzbart gehören. Unrealistisch ist an ihnen, daß sie wie die meisten ihrer Vorfahren in archaischer Zeit weder Panzer noch Helme noch Beinschienen tragen. Ihre Kleidung wirkt also ebenso „heroisch“ wie die Nacktheit der Griechen. Das Herausheben einzelner Altersgesichter gibt es seit der archaischen Kunst und darf nicht mit bildnishaftem Individualisieren verwechselt werden. Der Giebel über der linken Schmalseite (Abb. 17) ist die einzige Stelle am Sarkophag, an der sich die Komposition ganz nach vorn öffnet, wie es auf attischen Reliefs um 330 v. Chr. üblich wird. Das neue Mittel dient einem unerhörten Thema, der Ermordung eines Fürsten. Wieder wird an das Achill-Penthesilea-Motiv erinnert; ja, der Ermordete ist, wie die Penthesilea der berühmten Münchener Schale, waffenlos, so daß der Frevel noch grausamer erscheint. Der Fürst ist in Vorderansicht auf die Knie gefallen, so daß sich sein roter Chitoniskos über der rechten Schulter gelöst hat. Der voll bewaffnete Mörder mit vulgärem Gesicht tritt mit dem linken Fuß auf den linken Knöchel des Opfers. Mit der Linken hat er dessen Kopf an den Haaren zurückgerissen und stößt einen Dolch in seine Halsgrube. Klagend blickt der Sterbende nach oben und versucht noch die Arme des Mörders wegzureißen. Dieser blickt auf einen von links heraneilenden voll bewaffneten Griechen, der in der gesenkten Rechten das Schwert hielt kaum um dem Fürsten zu helfen, wie man gemeint hat, denn von dessen Trabanten wird der eine, nur in Bruchstücken erhaltene, rechts von der Mittelgruppe von einem bärtigen Griechen in prachtvoll golden schimmerndem Muskelpanzer eben getötet. Ein anderer Trabant lag in der rechten Giebelecke und ist ebenfalls nur in Fragmenten erhalten; ein dritter liegt verwundet in der linken Giebelecke und ein Knappe versucht, scheu umblickend, ihn aufzurichten. Die Lanzen der Trabanten liegen unzerbrochen im Feld; es kam also beim Überfall zu keinem wirklichen Kampf. Die Verherrlichung einer solchen Szene ist nur denkbar, wenn es um die Sühne eines Frevels geht, der mitleidlos bestraft wird wie Lykaon in der Ilias durch Achill. S. Reinach dachte an die Bestrafung des Mordversuchs, den ein gewisser Alexander, Sohn des Aeropos, auf Anstiften des Perserkönigs unternommen hatte und dem Alexander der Große beinahe zum Opfer gefallen wäre. Jedenfalls liegt in allen Friesen Historisches nur zugrunde und ist nur so weit geschildert, als es zeitlose, mythische Bedeutung gewonnen hat. Abdalonymos mag an jener Rettung Alexanders beteiligt gewesen sein. Weniger befriedigt der Vorschlag, hier die auf Alexanders Befehl vollzogene Ermordung Parmenions zu sehen, die weder zu dessen noch zu Alexanders Ruhm beitrug, V. van Graeve vermutet, es sei die Ermordung des Reichsverwesers Perdikkas in Gegenwart des Philipp Arrhidaios dargestellt (321 v. Chr., vgl. Anm.1). In den vier bisher besprochenen Szenen kann man mindestens vier verschiedene Meister unterscheiden. Stellt man die Erstochenen des Giebels (Abb. 20) und des Frieses gegenüber (Abb. 21), so findet man dort einen harten unklassischen Rhythmus, hier die großen Kurven der Spätklassik, im Giebel Empfindungen des Augenblicks und frühhellenistisches Individualisieren im Gesicht des greisen sterbenden Fürsten mit seinen halblangen Haaren; im Fries zeitloses Lebens- und Todesgeschick im Sinn der Klassik. Der andere Giebel (Abb.4f.) ist stumpfer gearbeitet als die übrigen Friese, ähnlich wie die Mädchenköpfe des Daches (Abb. 80f.). Ebenso verschieden wie die beiden Giebel sind die beiden Friese darunter: die Pantherjagd mit ihren schon fast frühhellenistischen Nebenfiguren (Abb. 6) und die Schlacht mit ihren klassischen Motiven, ihrer geschlossenen Komposition und Farbigkeit und mit einer seelischen Intensität der Blicke, die am ganzen Sarkophag so nicht wiederkehrt (Abb. 18 ff.). Der Unterschied wird besonders deutlich, wenn man die kämpfenden Anführer vergleicht (Abb. 6. 9. 28). Beide Male sieht man das immer variierte Barbarengesicht, das man schon von kleinasiatischen Satrapenmünzen des reichen Stils und vom berühmten „Maussollos“ des Mausoleums kennt: die gebuckelte Stirn über dem leicht eingezogenen Nasenansatz und die gefurchten Wangen. Aber die Plastik des Jägers ist knapper, der Ausdruck erregter, der des Reiters weicher, so daß er das Geschick seines Gegners mitzuempfinden scheint. Für diesen Gefallenen (Abb. 31) ist von dem Meister ein weiterer Helfer herangezogen worden, denn das unerhört bewegliche weiche Inkarnat seines Rückens ist völlig verschieden von der kraftvollen Muskulatur des „Harmodios“ (Abb. 16. 23). In diesem werden wir den Meister der Löwenjagd selbst, in jenem den Gehilfen des Löwenmeisters erkennen dürfen. Wir finden dem Kopftypus des Gefallenen wieder bei den beiden Reitern, die in der Löwenjagd dem Fürsten zu Hilfe kommen (Abb. 43f.), und auch die seitlich nackten Griechen scheinen vom gleichen Gehilfen des Löwenmeisters zu stammen, während der Fürst zum Verwechseln dem des Schlachtfrieses ähnelt (Abb. 18. 28. 33). Auch die seitlichen Perser mit dem Pathos ihres Blicks (Abb. 36. 46) erinnern an das Beseelte des Schlachtfrieses; nur ist der Ausdruck in diesem noch reicher und tiefer, als ob der Meister der Löwenjagd inzwischen gereift wäre. Vergleicht man seine Pferde (Abb. 28f. 33) mit denen des Gehilfen (Abb. 43f.), so erweisen sich diese als lockerer modelliert, als ionischer, wie es der Charakter dieses genialen Künstlers ist, während der Meister der Löwenjagd klarer strukturiert und an attische Tradition, an Timotheos erinnert (vgl. besonders Abb. 23). Doch richten wir den Blick endlich auf die Löwenjagd als Ganzes (Abb. 32ff.). Sie ist weniger einheitlich komponiert als die Pantherjagd und wie im kleinen Schlachtfries sind heterogene Elemente zu einer formalen Symmetrie gefügt, die in klassischer Weise den Rahmen füllt. Der Rhythmus steigert sich nach der Mitte von „Kürzen“ zu „Längen“, um nach rechts wieder abzuklingen. Farblich überwiegen in der Mitte die violetten und gelben Töne, unterstützt durch berechnet verteilte Flecken von Rot. Seitlich entsprechen sich die glänzend hellen Körper der nackten Jünglinge und der lebhaftere klang der rahmenden Perser, bei denen auch das Blau zu Geltung kommt (Reste auf Abb. 35). Die formalen Entsprechungen der Reiter und er beiden nackten Griechen werden aufgelockert durch das Lebhafte des übergreifenden Geschehens. Als Szene darf man sich einen der „Paradeisoi“ denken, in denen man für den orientalischen Herrscher seltene Tiere als Symbol seiner Weltherrschaft hielt. So erklärt sich die überraschende Verbindung der Löwen- und der Hirschjagd, zu denen noch die Pantherjagd der Nebenseite kommt. Sie sind nur Beispiele der vielen wunderbaren Ereignisse, die man im Paradeisos bestaunte. Aber das Denkwürdigste war doch, wie das Pferd des Fürsten von einem Löwen angefallen wurde und wie seine griechischen Freunde ihm zu Hilfe kamen. Völlig klassisch ist noch das vom Löwen so furchtbar verwunderte Pferd empfunden, das dennoch seine stolze Haltung bewahrt (Abb. 33. 40). Diese Kunst erfaßt jede Gestalt zuerst in ihrem Wesen und gibt sich noch nicht an den flüchtigen Moment hin. So spricht auch aus den Zügen der Menschen zwar Leidenschaft, seelische Bewegung und beherrschte Kraft, aber nicht der momentane Affekt, dem erst der Hellenismus neuen Sinn abgewinnen wird. Beim Löwen erinnern wir uns an den auf Alexanders Helm (Abb. 1. 52. 54): Während dieser mit souveräner Kunst skizziert ist, ist der der Jagd bis in die Details der sprühenden Mähne durchmodelliert. Erst die Einzelaufnahmen (Abb. 40. 42) zeige, wie monumental er gesehen ist, im Kontrast der knappen Details und der großgewölbten Formen. Dies Verbergen der Monumentalität eignet dem ganzen Sarkophag. Auf den ersten Blick wirkt er allzu kleinteilig, ja puppenhaft. Erst beim sich Vertiefen ins Detail entdeckt man seine künstlerische Bedeutung und das unerhörte Leben, das in ihm verborgen ist und hier in der Verbindung von Löwen- und Pferdekopf kulminiert (Abb. 40). Scharfe Schatten im Löwenantlitz lassen das gespenstisch Überirdische von Löwen als Todessymbolen aus der späteren Antike vorausahnen (Abb. 42). Die gelagerten Akroterlöwen des Daches (Abb. 32. 47. 78f.) sind sehr viel ionischer als die des Alexander- (Abb. 52. 54) und des Löwenmeisters (Abb. 42). Der berittene Grieche, der dem Grabherrn zu Hilfe kommt (Abb. 43), trug, wie aus der Einarbeitung in den Haaren zu schließen, einen metallenen Schmuck. Man hat ein Königsdiadem vermutet und den Reiter demnach Alexander genannt. Gebauer hat eingewandt[vii], daß die kurzgeschnittenen Haare von denen des sicheren Alexanderbildnisses im Schlachtrelief abweichen; Charbonneaux hat auch auf die runden Formen mit dem vollen Kinn hingewiesen, die für die Demetrios Poliorketes charakteristisch seien. Nun hat aber dieser Königstitel und Diadem erst 306 v. Chr. angenommen, zusammen mit seinem Vater Antigonos, dem Einäugigen, der in dem kraftvollen charakteristischen Reiter rechts auf dem Schlachtrelief zu erkennen sei (Abb. 51). Dann wäre der Sarkophag nach 306 v. Chr. entstanden. Eine so späte Datierung scheint mir aber aus den schon genannten stilistischen Gründen unmöglich zu sein. Die Züge des jungen Reiters scheinen mir ferner von denen des Demetrios noch mehr abzuweichen als von denen Alexanders. Vor allem sind die Haare ganz verschieden. Für die Alexanderdeutung kann man die Kühnheit des Motivs anführen, ferner das Ungewöhnliche der Situation und die literarischen Nachrichten, die eine Löwenjagd Alexanders in Syrien bezeugen. Den griechischen Reiter rechts hat man deshalb schon früher Hephaistos genannt. Individuelle Gesichtszüge darf man so wenig wie in den anderen Friesen erwarten. Die Reiter werden von den Nebenfiguren umgeben, ähnlich wie jeder spätklassischen Form ihre Raumsphäre zugeordnet ist. Kompositionelle Spannungen treten nur am Rand des Frieses auf und vermögen das klassisch Ausgewogene des Ganzen noch nicht zu brechen. Der auf den Löwen zielende Bogenschütze links (Abb. 36) ist ein altes Motiv, das Rand und Zentrum des Bildes verbindet. Der aus Metall zu denkende Bogen füllte etwas die Leere, die kompositionell dem freien Luftraum rechts über dem Hirsch entspricht. Den herbeieilenden nackten Griechen (Abb. 36 f.) hat man die schönste Gestalt eines Läufers in der Kunst genannt. In der Linken hielt er den Speer, in der Rechten ein Jagdmesser. Er tritt nur mit den Zehen des linken Fußes auf. Der rechte Fuß ist unerhört kühn frei in der Luft schwebend gearbeitet. In der Verbindung mit dem neben dem Läufer rennenden Hund erreicht die Kunst dieses Meisters, flüchtige Bewegung zu suggerieren, das Äußerste. Der ähnliche Hund weiter rechts ist dem Löwen näher, stellt schon die Ohren und ist feiner durchgegliedert, aber nicht ganz so feurig bewegt (Abb. 38). Ein dritter beißt ins linke Hinterbein des Löwen, so daß man das Knirschen zu hören meint (Abb. 39). Der Angelpunkt der Komposition ist aber der Perser hinter dem Löwen, der zum kreisenden Schlag mit der Axt ausholt, die Bewegung von beiden Seiten verbindend (Abb. 34). Es ist eigenartig, wie anders dieselbe Gebärde bei dem Perser rechts wirkt (Abb. 35), weil er mehr in der Fläche ausgebreitet in ganzer Figur erscheint. Er schneidet dem schon durch Pfeile verwundeten Hirsch den Fluchtweg ab. Ein Grieche hat den Hirsch eingeholt (Abb. 32), am Geweih ergriffen und stößt ihm, nach links ausfallend, den Speer in die Seite. Künstlerisch bildet das Tier mit seinen gleitenden Formen wie der eilende Grieche links einen Kontrast zur geballten Mitte. Es steht aber auch das Leiden des Geschöpfes im Gegensatz zur Wildheit des Löwen und zum aufleuchtenden Blick des Axtschwingers (Abb. 46.). Den Meister der Löwenjagd sahen wir schon im Schlachtenbild klassische Gruppen zitieren, und so erinnert er hier mit manchen Motiven der Löwenjagd an die berühmte Eberjagd von Kalydon, zu der ebenfalls Jäger aus aller Welt zusammengekommen waren. Die Hirschjagd erinnert an Herakles’ Jagd auf die gehörnte Hinde. Man darf sich mit den Heroen der Vorzeit vergleichen, und diesen stellt nun die Alexanderschlacht der anderen Langset des Sarkophags (Abb. 47ff.) den jüngsten Heros gegenüber, dem sich der Herr des Grabes besonders verpflichtet weiß. Man kann die Komposition der Friese nur würdigen, wenn man sie mit der architektonischen Form zusammensieht. In leiser Andeutung tektonischer Symmetrie spürt man die Nähe des Orients, aber die Bildfelder sind der Architektur nicht untergeordnet wie orientalische und römische Kompositionen. Sie stehen auch nicht in Spannung zur Architektur wie die des Hellenismus, sondern ihr innerer Bau steht in jener klassischen Harmonie zum Rahmen, sie seit dem frühen fünften Jahrhundert immer feiner durchgebildet worden war. Jedoch ist dieser Rahmen in der Alexanderschlacht fast übers Maß gefüllt mit achtzehn menschlichen Gestalten gegenüber den acht des Löwenfrieses. Durch die Mannigfaltigkeit typischer Kampfmotive, deren jedes nur einmal vorkommt nur ein Hoplit ist gepanzert, wie es in Wirklichkeit die ganze Phalanx war -, wird die Vorstellung vom immensen Umfang des Geschehens aufgerufen. Sie wird noch gesteigert durch die größere Dichte in der rechten Frieshälfte; es überwiegt trotz der vorherrschenden Dreiteilung der Komposition die Bewegung nach rechts. Der Fries der Alexanderschlacht wird von zwei siegreichen griechischen Reitern flankiert, und ein dritter bildet die Mitte. Optisch rhythmisch verhalten sich die Gestalten zwischen den Reitern zu diesen wie Senkungen zu Hebungen. Das Kolorit hat in der Mitte den reichsten Klang, mit viel leuchtendem Rot und mitschwingendem Gelb und Blau, während in den Flügeln „durch das Vorherrschen des Violett und Gelb der Ton zu geschlossener Wirkung gebracht ist“. Die Griechen, die zu Fuß kämpfen - der Schwergerüstete links und der Leichtbewaffnete rechts von der Mitte (Abb. 4f.) -, verkörpern das griechische Fußvolk. Es war in hartem Kampf mit dem Zentrum der Perser verwickelt und durch persische Reiter bedrängt (Abb. 60), da entscheidet ein makedonischer Reiterangriff die Schlacht - von drei Seiten brechen die Führer in die Reihen der Perser ein. Dieses Kampfgeschehen durchdringt und belebt die tektonische Grundform der Hebungen und Senkungen, wie die lebendige Bewegung jeden Körper durchströmt. Links wird in der Gruppe Alexanders und seines Gegners ein Teil der Senkung zur Hebung gezogen (Abb. 48f.); rechts wird das Geschehen in der Senkung so heftig, daß der Rhythmus kürzer wirkt. Man könnte ihn daktylisch nennen, den der linken Hälfte spondeisch. Alexanders Pferd bäumt sich auf, hoch über einem vom Rücken gesehenen gefallenen Perser. Es ist von einem Pfeil in die Brust getroffen, aber seine Haltung scheint mehr der Größe des Geschehens zu antworten, wie die der Rosse im Westgiebel des Parthenon. Der König richtet die Lanze auf einen verfolgten Perser, dessen Roß nach rechts auf die Vorderbeine gestürzt ist. Der Perser versucht mit der linken Hand sein linkes Bein über den Hals des Pferdes nach vorn zu schwingen, um den König ungehindert entgegenzutreten; zugleich schwingt er schon das Schwert gegen ihn, aber die weitaufgerissenen Augen zeigen ihn vom Blick des Königs gebannt. Hinter dieser Szene muß ein mythisch gewordenes Geschehen stehen, das auf dem Gemälde der Alexanderschlacht in noch grandioserem Zusammenhang geschildert wird: Hier hat sich der Perser für den Großkönig geopfert. Im Gegner Alexanders ist der Barbarentyp des Gesichts am meisten im griechischen Sinn geadelt (Abb. 59). Den „Meister der Alexanderschlacht“ erkennen wir gleichsam in seiner Handschrift, wenn wir Details von Reiter und Pferd (Abb. 52-54) mit denen des Löwenmeisters (Abb. 33) und seines Helfers vergleichen (Abb. 43f.). Wie dieser arbeitet der Alexandermeister skizzenhafter und leidenschaftlicher als der Löwenmeister und ganz ohne dessen sentimentalisches Empfinden. Aber der Alexandermeister ist noch feuriger und kräftiger als der Helfer des Löwenmeisters, entschieden attischer. Auch er wird einen Gehilfen gehabt haben, wie manche etwas schwächere Stellen vermuten lassen (Abb. 57), aber der Fries ist doch noch künstlerisch einheitlicher als der der Löwenjagd. Man hat gesagt, er sei qualitätsvoller als diese. Ich sehe nur Verschiedenheit des künstlerischen Temperaments. Vielleicht ist die Alexanderschlacht mit ihren drei Figurenschichten genialer komponiert, aber sie fügt sich auch weniger der dekorativen Aufgabe als die Löwenjagd, die darin ganz mit den Nebenseiten zusammengeht. Die Vorstellung von der Panik der Perser beim bloßen Erscheinen der griechischen Reiter wird gesteigert durch die folgende nach links bewegte Gruppe (Abb. 49. 56f.): der Grieche geht nach links vor, mit dem Schild gedeckt wie auf dem Übungsplatz, tritt auf den Rücken eines gefallenen Persers und richtet sein Schwert (seine gebrochene Lanze ist auf den Grund gemalt) auf einen entwaffneten Perser, der nach links zurückweicht und entsetzt, mit instinktiver Abwehr, die Arme vor sein Gesicht hebt. Aber die Perser sind tückisch und noch gefährlich: im Hintergrund richtet einer seinen Bogen auf Alexander (fast unbegreiflich, welcher Ausdruck hier dem ganz flachen Relief abgewonnen ist; Abb. 55). Im Vordergrund (Abb. 48) hat ein anderer den nach rechts sprengenden vermutlichen Hephaistion kniend von der Seite angegriffen aber seine Waffe hat ihr Ziel nicht erreicht, er streckt in hoffnungslosem Flehen seine Rechte aus, versucht sich mit dem Schild in der Linken zu decken und muß den Todesstreich Hephaistions erwarten (Abb. 70). Die Elastizität der Haltung das Knie berührt den Boden nicht und das Transistorische des Motivs sind so bewundernswert wie der Ausdruck des Entsetzens im Antlitz mit der gebuckelten Stirn und gebogenen Nase (Abb. 61; hier sind die gemalten Wimpern erhalten). Noch ergreifender wirken die nach hinten gefallenen Köpfe der beiden Perser und eines Griechen, die weiter rechts am Boden liegen und verbluten (Abb. 67. 63f. 69. 71). So edle Bilder des Leidens gibt es erst wieder in der hohen Renaissance, aber in der griechischen Kunst sind Gefallene nie schwere Masse wie dort, immer ist noch ein Hauch von Leben in ihnen: Tragik von Glanz und Vergänglichkeit allen Daseins. Nun folgt noch einmal der offene Kampf. Persische Reiter attackieren in fliegendem Galopp das griechische Fußvolk. Ein Perser holt zum Schwertschlag gegen einen nackten Griechen aus (Abb. 60. 67): der wirft sich ihm tollkühn entgegen, ergreift mit der Linken unter dem Maul des Pferdes dessen Kinnriemen und holt mit der Rechten zum Gegenschlag aus. Davor kniet ein Perser und richtet, scharf spähend, den Pfeil gegen den einzigen gepanzerten makedonischen Ritter, der in versammelter Haltung von rechts einhersprengt; ein erfahrener älterer Mann, der Inbegriff militärischer Zucht, nun die Rettung der bedrängten Griechen (Abb. 50f.). Man hat an Parmenion, einen der tüchtigsten Reiterführers Alexanders gedacht, aber auch an Perdikkas und an Antigonos den Einäugigen, den Vater des Städtebelagerers Demetrios, denn er wird als einziger griechischer Ritter im strengen Profil gegeben. Nur am geöffneten Mund und am harten Blick, der noch durch den Schatten des Helms betont wird, erkennt man seine Erregung. Obwohl er ins linke Bein getroffen ist, sitzt er fest im Sattel und hat seinem Gegner die Lanze mit sicherem Stoß so in die Halsschlagader gejagt, daß dieser leblos von seinem Roß herabsinkt, das sich hoch aufbäumt. Das Gegeneinander der Rosse (Abb. 67), des mutigen disziplinierten griechischen (Abb. 51) und des scheuenden stolzen persischen (Abb. 65) ist noch einmal ein Höhepunkt in der Bewegung des Frieses und die Aufnahmen lassen die kraftvolle, fein differenzierende Arbeitsweise des Alexandermeisters gut erkennen. Der von seinem Pferd sinkende sterbende Perser wird von einem Gefährten, der abgesprungen ist, aufgefangen (Abb. 65f.) und mit dem Schild gedeckt. Wieder wird man an hohe Renaissance erinnert etwa an eine Kreuzabnahme, und wieder findet man im leblosen Körper der griechischen Kunst etwas vom Lebensatem, den der Grieche Psyche nennt, und ohne den er sich Gestalt nicht vorstellen kann. Solche Psyche ist für ihn unsterblich. Das Gesicht mit den vom Schmerz gepreßten Lippen und dem gebrochenen Blick, mit der Tragik des Menschenloses, die das Barbarenantlitz verklärt (Abb. 68), gehört gewiß zu den ergreifendsten künstlerischen Schöpfungen und ist doch erst durch die Kunst unseres Photographen so deutlich geworden. Wir werden es nun nicht mehr vergessen, so wenig wie das Haupt des gefallen griechischen Gegners, dessen todesstarre Augen noch nicht geschlossen sind (Abb. 69). Mit solchen Visionen vollendet sich ein Begreifen des menschlichen Schicksals, das mit den frühklassischen Zyklen Polygnots in der großen Malerei begonnen hatte. Mit Proben der Ornamente auf unseren letzten Tafeln kehren wir noch mal zur reinen Harmonie der Lebensbilder zurück, die über allem vergänglichen Geschehen die Unvergänglichkeit der Gestalt empfinden lassen (Abb. 73ff.). Um diesen Eindruck zu verstärken sind die Ornamente nicht farbig gefaßt, obwohl griechische Architektur sonst immer farbig war. Auch der Zahnschnittrahmen ums Alexandermosaik war schwarz-weiß getönt. Bemalt sind am Sarkophag nur der Weinrankenfries, das Symbol des Dionysos, und die Figurenfriese. Die Weinranke ist mit den Komplementärfarben Gelb und Violett, d.h. Gelb auf violettem Grund, bemalt. Das ist ebensowenig bloße „Nachahmung“ der Natur wie die Form der Ranke selbst, sondern Deutung im Sinn des Prächtigen und Geordneten. Wir betrachten zum Schluß das Werk noch einmal als Ganzes und beginnen mit seiner Farbigkeit. Die Figurenfriese des Sarkophags sind das einzige Werk der antiken Kunst, auf dem Marmorpolychromie in großem vollständigem Zusammenhang erhalten ist. Da die Farben seit der Auffindung trotz aller Sorgfalt der Bewahrung weiterhin geschwunden sind, ist dieser Befund photographisch nur ungenügend wiederzugeben. F. Winter hat das große Verdienst, in seiner Publikation der Polychromie des Sarkophags von 1912, das damals noch Erkennbare festgehalten zu haben. Er trug auf Schwarz-weiß-Photos die Farben im Aquarell auf. Glücklicherweise ist gerade die Bemalung der Augen vielfach erhalten, die man sonst bei den meisten antiken Marmorwerken schmerzlich vermißt. Einige Tupfen genügtem dem Maler, den Figuren Intensität des Blickes und ein leidenschaftliches Leben zu verleihen. Ein leichtes Tönen des Nackten, das man nur am Original bemerken kann, wärmt und belebt das kühle Weiß des Marmors. Die Hauptfarben sind Violett, Rot, Gelb, etwas Blau. Grün fehlt, und Weiß und Schwarz werden nur für wenige Details verwendet. Die Haare sind Rotbraun, weil man Schwarz vermeiden wollte. Rot und Violett sind stark abgetönt zu Braun und Purpur, wie das gerade für die Spätklassik bezeugt ist all dies mit erlesenem Sinn für Werte und Kontraste und im Gegensatz zu den starken großen ruhigen Farbflächen der archaischen Kunst. Schatten werden nur durch die Plastik der Relieferhebung bewirkt, nur an Schilden werden Lichter und Schatten etwas unterschieden. So ist das Kolorit licht und die Farbflächen erscheinen vielfach noch mehr aufgehellt, weil die deckende Farbe größtenteils verschwunden ist. Aber man sieht, daß der oder die Maler nicht weniger große Künstler waren als die Bildhauer, die wir unterschieden haben. Mit der Großartigkeit des Ganzen verbindet sich minutiöse Modellierung und Ziselierung. Man möchte die plastischen Einzelformen wie Kleinkunst in die Hand nehmen. Bewundernswert ist die Abstufung der plastischen Gliederung, so daß das Geringere sich unterordnet, das Bedeutende gehoben wird, und das Ganze doch das Maß eines unterirdischen Grabmals behält. Erst durch die neuen Aufnahmen unseres Buches wird die Bedeutung der Unterscheidungen für die Lichtschattenwirkung deutlich, erst jetzt die pathetische Sprache der kleinsten Details und vor allem der Gesichter und der Tierbilder sichtbar. Auf den älteren Aufnahmen wirken die Gestalten vielfach wie Porzellanfiguren, auf den vorliegenden wie lebende Wesen. Dieser malerische Charakter der Skulptur steht an der Schwelle des Hellenismus und ist in jener großen Blütezeit der Malerei auch zu erwarten. Er bringt die unerhört frisch erhaltene Koloristik erst zur rechten Wirkung. Wir haben sechs Meister unterschieden. Der Löwenmeister hatte den Fries der Löwenjagd (Abb. 32f.) und dann den der Schlacht auf der linken Nebenseite auszuführen (Abb. 16f.). Bei beiden Friesen hatte er einen virtuosen ionischen Mitarbeiter. Ebenso bedeutend war der Meister der Alexanderschlacht (Abb. 47f.), der der Pantherjagd (Abb. 2f.) und der des Giebels mit der Mordszene (Abb. 17). Etwas schwächer war der Meister des anderen Giebels, der auch einen Teil der plastischen Dekoration des Daches auszuführen hatte. Bei den sorgfältigeren Teilen (Nordakroter!) und bei den Löwen der Eckakrotere könnte man an einen weiteren Meister ostionischer Herkunft denken. Der Alexander- und der Löwenmeister waren beide vielleicht selbst Ionier, die aber viel von attischer Tradition aufgenommen hatten, wie der große Ionier Skopas von der Insel Paros. Besonders die Augenbildung erinnert oft an Skopas’ Giebelfiguren von Tegea, aber Skopas selbst ist monumentaler und hat mehr dorische Kraft in sich aufgenommen. Der Sarkophag konnte erst am Ort seiner Bestimmung so ins Detail ausgearbeitet werden und verrät eine weichere Atmosphäre als es die des griechischen Mutterlandes ist, in der Zartheit der Formen und im Malerischen des Ganzen. Kleine Sarkophage derselben Werkstatt und Grabkammer tragen phönikische Steinmetzzeichen, die einheimische, wenn auch ionisch geschulte, Werkleute bezeichnen. Um den Gehalt des Sarkophags ganz zu würdigen, ist es gut, auf die frühere griechische Grabkunst zurückzublicken[viii]. Zwei sich widersprechende Grunderfahrungen bestimmen das Verhalten des Menschen zum Sterben. Der Tod ist ein leidvolles Scheiden, und er ist doch kein Ende. Die Gestalt des Toten begleitet uns in der Erinnerung, im Traum, ja sie kann wirklicher erscheinen als im Leben selbst, ergreifend, aber auch schreckhaft und bedrängend. Die Vorstellungen vom Weiterleben nach dem Tode sind mannigfach, aber kein Volk ist darin so wenig festgelegt wie die Griechen. Weil der Mensch nur vom Diesseits Sicheres weiß, können die mannigfaltigsten Bilder nebeneinander bestehen: das homerische von den kraftlosen Schatten im Hades, das vom glücklichen Leben der Heroen und der in die Mysterien Eingeweihten im Elysium und auf den Inseln der Seligen, uns das von der Bestrafung der Frevler in der Unterwelt. Diesen dichterischen Bildern liegt die Wirklichkeit des Totenkultes zugrunde. Durch die ganze heidnische Antike gibt man dem Toten ins Grab mit, was ihn in seinem Weiterleben erfreuen wird: nicht nur seinen Besitz, sondern reicheres Gerät, prachtvolleren Schmuck, stattlichere Gefäße, als er im Leben gebraucht hat, dazu Urbilder des Lebens in Statuetten von Jünglingen und Mädchen, die, thronend oder Opfergaben haltend, in ein höheres Dasein gehoben sind, von Frauen mit Kindern, von würdigen Männern und Silenen aus dem Gefolge des Herrn des Jenseits, der immer mehr als Dionysos erfahren wird, weil seine Weihen und Freuden die schönste Verheißung sind. Dazu kommen Schreckbilder von Gorgonen und Raubtieren, in denen das Unheimliche der Grenze des Lebens gebannt wird, aber auch lichte Wesen aus dem Götterland, Sirenen, die Vögel mit den Mädchengesichtern, die Buschor als die „Musen des Jenseits“ geschildert hat. Nur selten sind Grabbeigaben durch Attribute als Bilder von Göttern bezeichnet, und auch da ist die Vorstellung wohl mehr die, daß der Verstorbene als Muse auf dem Helikon, auf anderen Lekythen als Persephone oder gar als Athena dargestellt wird. Es beruht auf einem Verkennen des poetischen Charakters der griechischen Grabkunst, wenn man jedes Mädchen mit einer Taube Aphrodite, jeden Mann mit einem Kantharos Dionysos nennt. Das Wunderbare der Grabbeigaben ist gerade die Mannigfaltigkeit der dichterischen Erfindung, die, von den ursprünglichsten Erfahrungen des Lebens ausgehend, das Geheimnis des Todes umspielt. Nur bei dieser Erklärung wird es verständlich, warum die meisten jener Votive auch in Heiligtümern dargebracht werden können. Die Weihgaben an die Götter und an die Toten verkörpern die heilige Welt, welche die Götter und die in ein göttliches Dasein erhobenen Toten umgibt, in den reinen Grundformen des Lebens. In solcher Poesie und im Kunstsinn der Form beruht der Zauber der Weihgaben, nicht im materiellen Wert. Gerade in den Kerngebieten Griechenlands bleiben die Grabbeigaben bescheiden. Nur in den Randgebieten, zu denen auch Rhodos gehört, hat man reicheren Goldschmuck gefunden, und keine Grabanlage erreicht bei weitem die Großartigkeit mykenischer Kuppelgräber oder orientalischer Grüfte, Mastabas und Pyramiden. Schon in homerischer Zeit zeichnen sich die Gräber der Ritter dadurch aus, daß sie sich als Brandgräber mit besonders sparsamen Beigaben von den üblichen Bestattungsgräbern abheben. In alledem ist eine Zurückhaltung gegenüber dem ungewissen Jenseits unverkennbar. Andere Völker glauben, wahre Vorstellungen vom Leben nach dem Tode zu haben. Mit bewundernswerter Frömmigkeit ringen die Ägypter um das Heil des jenseitigen Lebens, das möglichst genau in allen Einzelheiten seines Glücks und seiner Ewigkeit geschildert wird. Die Griechen dagegen halten sich an die Erfahrungen in diesem irdischen Leben, das sie unaufhörlich besser zu verstehen versuchen. Zu solchen wirklichen Erfahrungen gehören die Schrecken des Endes, aber auch die Erinnerungen, ja Erscheinungen der Abgeschiedenen, von denen die Phantasie ursprünglicher Menschen beglückt oder bedrängt wird, und von denen die Ideen der Grabbeigaben ausgehen, wie wir sie geschildert haben. Die Wirklichkeit des Traumes, die den Hinterbliebenen mit dem Verstorbenen verbindet, kann, zumal für den alten Menschen, höhere Realität haben als die äußere Wirklichkeit. Analog verstehen wir die Antwort auf das Geheimnis des Todes, die wir auf den attischen Grabdenkmälern finden. Während archaische Grabdenkmäler anderer griechischer Landschaften die Verehrung feierlich thronender Toter durch die Zurückgebliebenen zeigen, wird auf attischen Gräbern nur noch selten angedeutet, daß er Verstorbene ein Heros ist, durch Attribute, die man dem Toten in die Hand gibt, Granatäpfel als Symbole ewigen Lebens, Ölfläschchen, Totenschuhe für die Reise im Jenseits oder dadurch, daß er nackt und nicht in der Tracht des Alltags erscheint. Auch die Heroenvorstellung wird in Attika zu einem Element der künstlerischen Phantasie, mit der jene alten Überlieferungen vergeistigt werden. Eine andere Idee herrscht vor. Die Gräber säumten die Straßen draußen vor der Stadt. Da las man auf den Steinen die Namen der Toten und Verse, die zu uns reden. Wer das Grab besucht, der erinnert sich an den Toten, so wie er im Leben am schönsten war ώς χαλόζ ώυ άπέδαυευ, wie er uns in guten Träumen erscheinen mag auch dies eine Wirklichkeit wird im Grabmal sichtbar und deutet das alte Heroenbild. So verwandelt sich auch der steinerne Grabpfeiler in jene nackten Jünglingsbilder, die selbst auf den Gräbern würdiger Männer stehen können, weil sie in ihrer Blüte so stark und schön gewesen waren. Indem der Tote in der Vollkommenheit des Kunstwerks erscheint, wird etwas vom Sinn des Lebens verstanden. Diese Urbilder des Lebens wohnen im frommen Verehren der Angehörigen und der Künstler und so leuchtet ihre Vollendung in den Alltag zurück. Das Leben wird in seiner Größe und in seiner Bedingtheit bejaht: eine leise Wehmut liegt über den attischen Grabbildern. Seitdem die spätarchaische Kunst um 570 v. Chr. die neue Möglichkeit des dramatisch gegliederten Bildfeldes entdeckt hatte, treten neben die vollplastischen Grabmäler die im Relief erzählenden, die nun auch die Möglichkeit geben, Menschen, die im Leben verbunden gewesen waren, in diesem höheren Dasein vereint zu zeigen, so einen Bruder und seine kleine Schwester auf dem großartigsten der archaischen attischen Grabreliefs im Metropolitan Museum. Die Klassik gestaltet diese Möglichkeit auf den Inseln und besonders in Paros, vor allem aber in Athen, zu den vielfigurigen Reliefs aus, die man besser versteht, wenn man die weißgrundigen Lekythen vergleicht. Die Grundvorstellung ist das Grabmal. Ein Hinterbliebener, meist eine Frau, kommt zum Grab und da erscheinen die Toten in ihrer höheren Wirklichkeit, zuweilen auch mit Musen oder mit Göttern verglichen, zuweilen in Szenen glücklichen Lebens, auf der Jagd, in der Palästra, die Frau sich schmückend oder musizierend. Die Verbindung des Hinterbliebenen und des Toten wird mit den neuen Möglichkeiten der klassischen Kunst verstanden, als Einheit bewegten Lebens. Der Glaube an die höhere Wirklichkeit des Toten, des Heroen, wird in unvergleichlicher Weise vergeistigt, aber nicht in verblasene Wunschträume aufgelöst, sondern in einer tieferen Wahrheit begriffen. Die Verbindung des Hinterbliebenen mit dem Toten durch den Kult wird im Motiv des Grabbesuchs, das wir als ein Grundelement der klassischen Grabbilder erkannt haben, neu gedeutet und anschauliche Wirklichkeit. Es war also ebenso falsch, die attischen Grabbilder bloße Erinnerungsbilder ans diesseitige Leben zu nennen - denn die Toten sind ja in einer höheren Wirklichkeit vorgestellt-, wie es falsch war, sie einfach mit den alten Heroenbildern zu identifizieren und Bilder des Grabkultes zu nennen. Denn aus der äußeren Wirklichkeit, in der damals der Heros vorgestellt war, ist längst eine innere geworden. Im Sinn dieser inneren Wirklichkeit sind nun auch die Grabmäler der sidonischen Könige verwandelt. In den stattlichen und tiefverborgenen Grabanlagen lebt zwar noch die alte orientalische Jenseitsvorstellung nach, auch in manchem beiläufigen Schmuck. Und die älteren Sarkophage folgten noch bis in die Parthenonzeit der Mumienform, die in Ägypten für den inneren Sarkophag üblich war, während der äußere die Wohnung des Toten vorstellte. Die späteren sidonischen Särge nähern sich mehr oder weniger der Hausform und sind mit Friesen geschmückt, die ganz im Sinn der attischen Grabmäler Wesenzüge des Verstorbenen festhalten, die überdauern. Es ist tief griechisch, daß es dabei so wenig wie auf den attischen Grabmälern um spektakuläre Ereignisse geht, sondern eher um Züge, die allgemein-menschlich sind, aber in besonderer Reinheit hervortreten. Die Griechen nannten solche Züge die Doxa, den Ruhm des Mannes. Von dieser griechischen Ruhmvorstellung muß man fernhalten, was uns von den Römern und besonders der Barockzeit an individueller und pathetischer Übersteigerung überkommen ist. Was die Griechen als große Taten rühmen, einen Sieg in Olympia, die Bewährung durch ein Werk oder in einem Kampf, ist nicht pathetischer Ruhm, nicht ein individuelles Durchbrechen der Überlieferung, sondern Erfüllung dessen, was edle hellenische Tradition war, was sich mit der Sage vergleichen kann. So sehen wir Abdalonymos in Szenen, die alten Themen von Kampf und Jagd neu fassen, und das außerordentliche Geschehen, dessen Zeitgenosse er war und dem er sein Fürstentum verdankt, ist der Sieg Alexanders, nicht seine eigene Tat. Der Sarkophag zeigt noch keine Einwirkung der Art des großen Erzgießers Lysipp von Sikyon, der Alexanders Hofbildhauer wurde und die Plastik des frühen Hellenismus seit 325 v. Chr. entscheidend beeinflußt hat. Dieser Schule von Erzbildnern steht in den Meistern des Sarkophags eine solche von Marmorvirtuosen gegenüber, wie wir sie vom Mausoleum von Halikarnass und von den älteren Sarkophagen der Nekropole von Sidon kennen. Verwandt ist auch der Wiener Sarkophag mit Amazonenkämpfen aus Soloi auf Kypros; auch er aus pentelischem Marmor. Aber sein Meister hat in der Komposition mehr orientalische Elemente aufgenommen. Der Vergleich macht die Genialität der Bilderfindungen der Alexander- und des Löwenmeisters noch mehr bewußt. Nur wenn man die frühe Entstehungszeit des Sarkophags vor dem Tod Alexanders des Großen (323 v. Chr.) erkennt, wird man seiner Bedeutung gerecht. Er ist unschätzbar als originales Zeugnis der unmittelbaren Wirkung des Königs. Gebauer hat fein beobachtet, daß es der Meister des Alexanderfrieses die lysippischen Alexanderbildnisse noch nicht gekannt hat und daß uns hier das erste originale Bildnis des Königs überhaupt erhalten ist. Der Achill des aus Pompeji stammenden Gemäldes mit der Entlassung der Briseis in Neapel steht schon unter der Wirkung des lysippischen Alexanderbildes und ist großartiger und tiefer aufgefaßt als der des Sarkophags - aber dieser hat eine jugendliche Frische, den Zauber einer Gegenwart voraus, die am König nur den Glanz der Jugend und nichts Tragisches sieht.[ix] Nach dem Tod Alexanders sah die Welt ganz anders aus als zu seinen Lebzeiten. Sein Plan, Griechen und Barbaren in einem Weltreich zu vereinen, ließ sich nicht durchführen. Er wollte aus den Völkern seines Reiches eine Einheit machen, begünstigte Ehen zwischen Griechen und Persern, nahm Perser in seine Verwaltung auf, schuf eine Reichsmünze, ein Herrscherkostüm aus griechischen und persischen Elementen und plante Kunstwerke, die eine Synthese griechischer und persischer Elemente werden sollten. In den Staaten der Nachfolger, der Diadochen, traten das griechische und das barbarische Element wieder auseinander. Die griechische Kultur wurde von den Städten getragen, die Barbaren wandten sich ihren eigenen Überlieferungen zu. Früh wurde beklagt, daß Alexander keinen Dichter gefunden habe. Seine Taten und Pläne entsprachen mehr den Bildungsideen der spätklassischen Redner, besonders des Isokraters, der den Zug gegen Persien geistig vorbereitet hatte. In einer berühmten Rede in Olympia hatte er schon 380 v. Chr. die Griechen aufgefordert, ihre Bruderkriege zu beenden, gegen die Perser zu ziehen und sich der Einheit und Eigenart griechischer Kultur bewußt zu werden. Als tieferer Sinn des Krieges erschien die Ausbreitung griechischer Humanität. Das Zusammenwirken von Griechen und Barbaren auf dem Sarkophag und seine Menschlichkeit entspricht völlig dieser Ideenwelt, er ist eines der letzten Meisterwerke der späten Klassik. Mit Alexanders Tod trat das klassische Programm in den Hintergrund, das er zu vollziehen begonnen hatte. Schon in den letzten Jahren Alexanders blühte in Athen die neue Komödie auf, die sich von den mythischen Stoffen abwandte und im bürgerlichen Leben schlichtes Menschentum so zauberhaft neu zu sehen vermochte, daß alle abendländische Komödie seit Plautus und Terenz unter dieser Wirkung steht. Die Lyrik wählte knappe und feine Formen und bringt sie zur höchsten Vollendung, Idyll, Elegie und scharf geschliffene Epigramme, aber das Epos fehlt, das sich Alexander gewünscht hatte. Dazu kam eine neue Idee der Tragödie, die den Helden sich ins Schicksal zu fügen lehrte, im Sinn der stoischen Philosophie. Die neuen philosophischen Lehren Epikurs und der Stoiker, suchten dem Leben des Einzelnen Halt zu geben und wandten sich von den großen politischen Vorgängen ab, die Alexanders Lehrer Aristoteles so scharf gesehen und beurteilt hatte. Die bildende Kunst kehrt sich von den großen Formen der Klassik ab. Die Gestalten hüllen sich wie frierend ins Gewand. Die Oberflächen ziehen sich zu scharfbrechenden Formen zusammen wie Kristalle. Das Zeitmaß der Erzählung erhält kurze und scharfe Rhythmen. Die Vorliebe für Tanagrafiguren steht im Gegensatz zu den großen politischen Ereignissen. Wohl lebt in den Bildnissen der Fürsten, die vor allem auf Münzen überliefert sind, etwas vom Pathos der Alexanderzeit nach, aber zahlreicher sind die Bildnisse von Dichtern, Rednern und Denkern, die die Charaktere in der Einsamkeit einer erschütterten Weltordnung begreifen. So konnten die Menschen nach dem Tod Alexanders in ihm nicht den Begründer einer neuen Ära sehen, sondern er mußte ihnen eher als der unheilumwitterte Zerstörer ehrwürdiger alter Ordnungen erscheinen. So hat ihn der Maler der Alexanderschlacht gestaltet, die uns in der Neapler Kopie erhalten ist und vermutlich auf Philoxenos von Eretria zurückgeht. Die Tragödie des Perserkönigs ergreift uns in diesem Bild tiefer als der Sieg Alexander. Der Maler war ein kühner in die Zukunft weisender Erfinder, nicht ein verfeinerter Spätling der klassischen Kultur, wie die Meister des Sarkophags. Philoxenos’ Sinn für die Wirklichkeit der veränderten Welt, den schicksalsträchtigen Moment und seine tragische Wucht mögen uns unmittelbarer ergreifen als das Relief der Alexanderschlacht, die in wildem Getümmel hin und herwogt. Aber klassischer ist in allem flüchtigen Leben das zeitlose Sein des Ruhms, wie ihn der Sarkophag in unvergeßlichen Gestalten bannt, und klassisch sind die tiefen Blicke ins Schicksal von Mensch und Tier, die uns zumal in den Bildern der Besiegten und der Sterbenden ergriffen haben. [1] Der vorliegende Text war schon entworfen, als mit durch die Güte des Verfassers das Manuskript der ersten umfassenden Monographie über den Alexandersarkophag bekannt wurde: Volkmar von Graeve, Der Alexandersarkophag aus Sidon, Diss. Frankfurt (noch ungedruckt). Hatte Studniczka die historischen Umstände scharfsinnig geklärt und die meisten Figuren richtig benannt, hatte Mendel die sorgfältigste Beschreibung gegeben, F. Winter die Farbigkeit untersucht und vorzüglich veröffentlicht, so faßt von Graeve all dies zusammen zu einer neuen Gesamtdeutung, die er auf wichtige Einzelbeobachtungen gründet. Er geht aus von der Symbolik der Form und Dekoration des Sarkophags, analysiert dann noch kurzer Beschreibung als wertvollsten Beitrag Tracht und Bewaffnung und gewinnt dadurch als frühestes Datum für die Entstehung des Sarkophags die von Alexander nach 326 v. Chr. durchgeführte Heeresreform. Ein zweiter bedeutender neuer Nachweis ist die Zurückführung der Audienzszene der Innenseite eines Schildes auf ein Relief von der Art der Audienzszene Artaxerxes’ II. in Persepolis. Mit Hilfe der Fluoreszensphotographie gelingt es ihm, auch andere Farbreste genauer zu bestimmen, insbesondere die Innenseiten von Schilden und Reiterdecken. Aus all diesen sorgsamen Einzelstudien ergibt sich das eminente historisch-aktuelle Interesse der Künstler, das sich mit dem traditionellen mythischen Sehen eigenartig verbindet. Nur in einem Punkt hat er die Deutung wohl zu weit getrieben: indem er auf der linken Nebenseite Abdalonymos’ Niederlage und Tod bei Gaza erschließen möchte. Bei aller Schärfe seines Denkens und obwohl er sieht, das es verfehlt wäre, ein Porträt des Abdalonymos zu erwarten, hat er wohl nicht genug berücksichtigt, daß die Griechen nur darstellen, was mythische, überindividuelle Bedeutung gewonnen hat. So konnten die Meister des Sarkophags wohl den unsterblichen Ruhm der Alexanderschlacht und alles festzuhalten suchen, was damit zusammenhängt, aber nicht den Tod des Abdalonymos. Der Betrachter konnte nur das Heldentum des Grabherrn bewundern und dabei an den Freiheitskampf denken, auf den die linke Gruppe anspielt, also auf die Kriege Alexanders. Oben im Text glaube ich auch gezeigt zu haben, daß es unmöglich ist, den Stil des Werkes in die Zeit nach dem Tod Alexanders zu datieren. 311 v. Chr. könnte man nach all den großartigen künstlerischen Entdeckungen der Zeit um 320 v. Chr. den Sarkophag nur als Werk trauriger Rückständigkeit betrachten wir sind uns aber einig darin, daß er in Wirklichkeit von sehr hohem künstlerischen Rang ist. Selbst wenn man ihn um 325 v. Chr. datiert und nach von Graeves Nachweisen wird man ihn nicht früher ansetzen können steht er im Zerbrechen der spätklassischen geschlossenen Raumkomposition hinter attischen, bald nach 330 v. Chr. gefertigten Werke wie den Grabreliefs von Ilissos, von Rhamnus und der Musenbasis von Mantinea zurück (vgl. K. Schefold, Die Griechen und ihre Nachbarn [Propyläen Kunstgeschichte. Bd.1], Berlin 1967, S. 98f. 125. 127). In der These der Frühdatierung werde ich jetzt noch bestärkt durch das von von Graeve nachgewiesene Interesse an Gehaben, Physiognomie und Tracht der Perser. Dieses Interesse mußte nach dem Ende des Perserreiches schwinden. Auch das Zusammenwirken von Griechen und Orientalen zu betonen, war nur zu Lebzeiten Alexanders aktuell und wichtig. Insbesondere hat die Kopie der Audienzszene ihren vollen Sinn nur unmittelbar nach der Eroberung von Persepolis. Eine nicht ganz unwichtige Frage ist auch die der Hauptansicht des Sarkophags. Zu den oben gegebenen Argumenten, die Alexanderschlacht als Rückseite aufzufassen, möchte ich jetzt noch anführen, daß die Nebenseiten in ihrer Komposition der Löwenjagd weit näher stehen als der Alexanderschlacht; sie schließen sich mit jener zu gemeinsamer Feier des Grabherrn zusammen. Die Schlachtseite verhält sich zur Jagdseite als stilistisch mehr in die Zukunft weisendes Werk wie die Rückseite des Parthenon zu dessen Front. Eine Schwierigkeit ist allerdings die von Graeve hervorgehobene Wendung der Schlachtseite zur Mitte der Grabkammer. Aber diese Veränderung des ursprünglichen Planes erklärt sich leicht daraus, daß der Sarkophag erst längere Zeit nach der Verfertigung aufgestellt wurde und daß man von Graeve dankbar dafür sein kann, daß er die Grundlagen für ihre Diskussion so sorgsam gelegt und vorzüglich dargestellt hat. In der Meisterfrage ist er unabhängig von mir zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Der Alexandersarkophag ist aus zwei gewaltigen Blöcken pentelischen Marmors gemeißelt. Die Figuren der Hauptfriese allein sind 58 cm hoch. Das Werk befindet sich heute mit den anderen Sarkophagen aus der Königsnekropole von Sidon in Istanbul, wie so viele andere Werke aus Nordafrika und Vorderasien, weil diese Gebiete in der Zeit der Auffindung noch zum ottomanischen Reich gehörten. Da man bei G. Mendel, Catalogue des Sculptures, Museé Impérial Ottoman, Istanbul 1912, 197ff., die ältere und bei von Graeve die neuere Literatur findet, nenne ich nur die wichtigsten Beiträge: O. Hamdy Bey Th. Reinbach, Une nécropole royale à Sidon, Paris 1892. F. Studniczka, Über die Grundlagen der geschichtlichen Erklärung der sidonischen Sarkophage. Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 9, 1894, S. 204ff. A. Furtwängler und H.L. Ulrichs, Denkmäler griechischer und römischer Skulptur, 3. Aufl., München 1911. F. Winter, Der Alexandersarkophag aus Sidon, Straßburg 1912. E. Buschor, Erläuternde Texte zu Bruckmanns Wandbildern alter Plastik, München 1911, S. 8ff. A. von Salis, Antike und Renaissance, Erlenbach-Zürich 1947, S. 89ff. M. Bieber, Alexander The Great in Greek and Roman Art, Chicago 1964. P. Goukowsky, Le Portrait d’Alexandre. Revue des Etudes Greques 79, 1966, S. 495ff. H. Metzger, A propos des images apuliennes de la Bataille d’Alexandre. Revue des Etude Greques 80, 1967, S. 308ff. K. Schefold, Die Griechen und ihre Nachbarn, (Propyläen Kunstgeschichte, Bd.1), Berlin 1967, S. 43. 98f. 123. 125. Abb.112. 358b. Taf. IV. 2 K. Schefold. Die Griechen und ihre Nachbarn, S. 39. 43. 125f. Abb. 244. Taf. XXIV. A. von Salis, a.a.O. 3K. Schefold. Die Griechen und ihre Nachbarn, S. 98. Abb. 244. Taf. XXIV. Schon die Reliefs aus den Jahren 323/318 (Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung 47, 1932, Taf. 29,1) und aus den Jahren 313/312 (Mittelungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 66, 1941, Taf. 73. Brunn-Buckmann’s Denkmäler griechischer und römischer Skulptur, München 1939, Taf. 785b.) zeigen den Stil völlig verwandelt. 4Chr. Karusos, Phrontismata, in: Theoria. Festschrift für W.H. Schuchhardt. Hrsg. von F. Eckstein (Deutsche Beiträge zur Altertumswissenschaft 12/13) Baden-Baden 1960. S. 113ff. 5 K. Schefold, Das Deuten von Sagenbildern, Zu Brommers Herakles und Sichtermanns Ganymed. Gymnasium, Zeitschrift für Kultur und Antike und humanistische Bildung 61, 1954, S. 288 6 H. Möbius, Alexandria und Rom. Abhandlungen de (Königlich) Bayrischen Akademie der Wissenschaften, Historische Klasse, N.F., Heft 59, 1964, S. 25. 7H. Jucker, Das Bildnis im Blätterkelch, Geschichte und Bedeutung einer römischen Porträtform (Bibliotheca Helvetica Romana 3), Olten 1961; dort S. 138ff. über Adlersymbolik. 8Zu den klassischen Tyrannenmördern zuletzt: K. Schefold, Klassisches Griechenland, Baden-Baden 1965, S. 22ff., Fig.4. S.269; zu Fig.4. S. a. K. Schefold, Die Griechen und ihre Nachbarn, S.95. 174f., Fig. 10. 9A, Furtwängler und H.L. Ulrichs, a.a.O., 2. Aufl., München 1904, S.92; 3. Aufl., München 1911, S. 125. 10K. Gebauer, Alexanderbildnis und Alexandertypus, Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Athenische Abteilung 63/64, 1938/39, S.51ff. J. Charbonneaux, Antigone le Borgne et Démétrius Poliocrète sont-il figurés sur le sarcophage d’Alexandre?. Revue des Art 4, 1952, S. 219ff. 11Zur Deutung der Grabkunst sind grundlegend: E. Buschor, Attische Lekythen der Parthenonzeit. Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst, N.F. 2, 1925, S. 167ff. E. Buschor, Von griechischer Kunst, München 1956, S. 125ff. E. Buschor, Grab eines attischen Mädchens, I. Aufl., München 1939; 2. Aufl., München 1941; umgearbeitete Neuaufl., München 1959. E. Buschor, Haus und Grab. Jahreshefte des Österreichischen Archäologen Instituts 39, 1952, S. 12ff. K. Friis Johansen, The attic grave reliefs of the classical period, Kopenhagen 1951. K. Schefold, zur Deutung der klassischen Grabreliefs. Museum Helveticum 9, 1952, S.107ff. N. Himmelmann-Wildschütz, Studien zum Ilissosrelief, München 1956. J. Thimme, die Stele der Hegeso. Antike Kunst 7, 1964, S. 16ff. P. Zanker, Eine Eigenart außerattischer Grabreliefs. Antike Kunst 9, 1966, S.16ff. 12K. Gebauer, a.a.O. (Anmerkung 10) Gemälde mit Entlassung der Briseis: K. Schefold, Die Griechen und ihre Nachbarn, S. 44. Taf. XXIII. |
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